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  • Zweites Manifest der Kommune
  • Die internationale Kunstausstellung, die im Monat Mai in Düsseldorf eröffnet werden soll, hat 'Die Kommune' vor die Entscheidung gestellt, ob sie sich an ihr beteiligen will oder nicht. Wir haben die Beteiligung abgelehnt. - Wir sind iüberzeugt, daß der Sinn des Internationalen erst zu prägen ist. Es wäre eine Gelegenheit gewesen, jetzt, durch die internationale Ausstellung in Düsseldorf ihm einen neuen, den einzigen wahren Sinn zu geben. Aber überall, wie auch in diesem Falle, standen sich die Menschen selbst im Licht, und die minderwertigen Machenschaften von Kunst-Konzernen, inspiriert von dem Potentaten-Ehrgeiz einzelner Personen, haben die Idee internationaler Gemeinschaft mißbraucht und verdorben. Keine einzige der Gruppen: 'Novembergruppe', 'Junges Rheinland', 'Der Sturm', 'Dresdner Sezession', geht anders als aus persönlichem Interesse zur Düsseldorfer Ausstellung, keine einzige von diesen Gruppen hat es gewagt, ihren engen egozentrischen Parteistandpunkt zu verlassen, keiner einzigen von ihnen kam der Gedanke, sich selbst aufzulösen, damit die große internationale Gemeinschaft Wirklichkeit werde. Es wäre der sittliche Bankrott des Europäertums, wenn solche Gesinnung als eine selbstverständliche Tatsache stillschweigend anerkannt würde. Es würde besagen: die Urteilsfähigkeit des Europäers wird durch keine Norm der Wahrheit mehr geleitet oder erzogen. Es würde besagen: schlaff und charakterlos wie die Lebensführung sind auch die Gedanken, Gesinnungen geworden. Es würde besagen: es gibt keine Ausnahme mehr; in rapidem Verfall vollzieht sich die Stabilisierung eines Menschentypus, der jede Handlung nur vom Standpunkt des Nutzens ausführt und bewertet. Darum wollen wir nicht schweigen. Wir wollen denen Mut machen, die befangen und gefangen in de Gruppen von Parasitengewächsen sind, die alles Lebensblut in sich auffangen, ohne selbst fruchtbar zu sein. - Lauter Unfruchtbare sind es, die sich auf Schleichwegen des Lebens bemächtigen wollen. Lauter Unfruchtbare sind es, die zum Mittel der Intrigue und des durch Protektionen von Beamten geschützten Einflusses greifen. Lauter Unfruchtbare, die sich mit dem verachteten Gegner verbrüdern, um ihn dann abzustoßen, wenn sie sich an ihm vollgesogen. Lauter Unfruchtbare, die das volle Vertrauen mit einer Grimasse des Vertrauens beantworten und die Vertrauenden zu Objekten ihrer egoistischen Politik machen. Die Welt ist voll davon, das ist wahr. Keiner nimmt Anstoß daran. Und die Guten machen es sich leicht und werden gütige Schurken. - Lieben tut nur der, welcher kämpft für das, was er liebt. Lieben tut nur der, welcher seine Erkenntnis gereinigt und hell gemacht hat. Die Liebe ist nur Hingabe; ihre stärkste Eigenschaft ist die Gestaltung im eigenen und im anderen. Wer nur in sich selbst und für sich selbst gestaltet, ist ohne Liebe. Wer nicht im Akt der Zeugung die ganze Welt umarmt ist ein kleiner Mensch und kleiner Genießer. Die Sophisten des Ichs, die nicht zum andern gelangen können, weil ihre Herzen arm geworden, die predigen zwar eine Liebe, die wie ein Kinderluftballon am dünnen Bändchen in der Hand getragen wird. Blasen, Blasen, Luftblasen! Kein Steinchen trägt diese Liebe. Aber alle anderen Kräfte müssen sie tragen, damit sie nur ihr Dasein eines einzigen Tages friste. Mit dem Hochmut des Schwächlings nimmt sie die reichen Gaben in Empfang, die ihr jede Lichtsekunde spendet, ohne die sie hilflos vergehen müßte. - Die ganze Vergangenheit zu revidieren ist unsere Aufgabe. Nicht durch eine intellektuelle Kritik, sondern indem wir das Anderssein leben. Sie wissen sehr genau, daß es sich um nichts anderes handelt als dieses. All die Schmieranten wissen das, diejenigen, die Kritiken verkaufen, und diejenigen, die Bilder verkaufen. Jedoch, seitdem die Palisaden der bürgerlichen Familie dem Sprößling als die Säulen des Herkules erscheinen, die die Welt tragen, muß natürlich zur Erhaltung dieses Glaubens verrenkt, gelogen und betrogen werden, und jene Politik im Großen wie im Kleinen die Welt verseuchen, die, solange die Geschichte existiert, alle alle menschliche Beziehungen zu Grunde richtet. Aber man hält fest an diesem Glauben, aus äußeren Gründen. Und beweist nur, daß diese äußerlichen Gründe sehr innerliche sind. Wie ein Wappen- und Brandmal sind sie dem Menschenvieh auf Stirn und Nacken gepreßt und umhüllen ihre Gemeinschaft mit einem brenzlichen Geruch, an dem sich auch die Zugehörigen dieser großen Sippe erkennen. Wehe dem, der nicht parfümiert ist wie sie. Er wird sofort beschielt von jenen Sippenseelen, deren jede einzelne in wohleingebleuter Solidarität die sicher funktionierenden Instinkte des Familienstalls entwickelt. Von diesem Gesichtspunkt aus ist die Nomenklatur europäischer Mentalitáät leicht. Die großn Kunstgruppen, die einige Erfinder bestahlen, und wieder gerühmte Einzelne, die auch einem verzwickten ästhetischen Nachschlüssel ihren Besitz verdanken, das sind höchst ehrenwerte Männer, ganz legale Zeitgenossen, wohl angesehen und befördert bei allen Instanzen. Warum auch nicht? Unterscheiden sie sich denn von ihren Protektoren? Keineswegs. Diese Protektoren sind oft kluge Leute. Sie lassen sich nicht verblüffen von dem Geschrei der Widerspenstigen. Sie wissen, daß es nicht so ernst gemeint ist, und dahinter nur die Ungeduld nach einem warmen Nest rumort. Schließlich werden alle, alle in Gnaden empfangen wie bei Hofe oder in der luxuriösen Diele eines Geldmagnaten oder bei den großen Kunsthändlern oder auch bei den lieben Verwandten, und alles ist wie einst. - Ja, o Mensch, wenn du Künstler, Dichter oder Schriftsteller bist, geschweige denn du seiest Arbeiter, glaube nur nicht, du habest das Recht, etwas anderes im Leben ernst zu nehmen, als was dem Sippen-, Partei- oder Familiengeiste gemäß ist. Träge wie ein Sumpf sollst du dahinschleichen, in dem die Frösche quaken. Ihr macht internationale Ausstellungen. Wir stehen am Ufer und hören das Gequake der Frösche. Wir kennen die Frösche alle bei Namen und unterscheiden jeden nach seiner Stimme. - Wir wissen, was diese Glocke geschlagen hat und immer schlägt. Wir wollen uns woanders anbauen; nicht in dem Sumpf. Nein. Wir sind nicht für den Pfahlbau und lieben nicht die Nebel und Ausdünstungen der Sümpfe. Die Erde wird euch verarbeiten so wie es ihr gefällt. Wir suchen uns einen Platz auf dieser Erde mit reiner Luft und fruchtbarem Boden. Die Erde wird uns ihre Kraft schenken und wir ihr die unsrige. Lebt wohl, ihr Frösche. -
  • Stanislaw Kubicki, Otto Freundlich, Tristan Remy, Gasbarra, Herm. F.A. Westphal, Stanislawowa, Ludwig Hilberseimer, Doris Homann, Franz Joseph Esser, Raoul Hausmann, Hedwig Mankiewitz.
    Wir hatten unserer Vereinigung den Namen 'Kommune' gegeben. Wir nehmen uns diese Bezeichnung wieder von der Stirn und sagen: Diese Gruppe besteht nicht mehr.
    Unsere Verbindung wird bestehen auch ohne Namen, wenn wir als Menschen wirklich verbunden sind.
  • BIBLIOGRAPHICAL REFERENCE
    Zweites Manifest der Kommune. Handout, not dated [1922]. Reprinted in Die zwanziger Jahre. Manifeste und Dokumente deutscher Künstler / herausgegeben und kommentiert von Uwe M. Schneede (DuMont Buchverlag : Köln 1979) 103-105; also in Raoul Hausmann : Texte bis 1933. Band I, 195-198, 220.
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  • IMAGE CREDITS
    banner: (detail) Raoul Hausmann, 'Mechanischer Kopf' (Der Geist unserer Zeit), 1920 [Collection Centre Georges Pompidou, Paris].
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